Aalonkel Hans (wird bearbeitet)

Aus den Bremer Nachrichten. Sein 80. war am 30.10.1990.
Aus den Bremer Nachrichten. Sein 80. war am 30.10.1990.

Hans war ein Bremer Original. Ich habe ihn mal besucht und er erzählte aus seiner Vergangenheit. Er war unehelich. Eins von vier Kindern von Adolphine Catharine Hurrelmann und mein Eindruck war, dass er sich wegen seiner Unehelichkeit schämte. Das war früher ein Problem.  Und dieser „Makel“ wurde in der Erziehung auf das Kind übertragen. Er konnte er mir auch nicht so genau sagen, wann er Geburtstag hat. Er schätzte er wäre im Jahre 1910 geboren.

In Bremen war er jedenfalls damals bekannt als der Aalonkel, der mit einem Korb voller Aale die Büroetagen der Bremer Großkaufleute besuchte und sie dort verkaufte. Seit 1968 hatte er im Bremer Brilltunnel einen festen Stand, an dem er seine Räucheraale feilbot. Bevor er Aale verkaufte, hat er als Schiffssteward auf der „Bärenfels“ einem Passagier- und Frachtschiff die Welt bereist. Mit 19 Jahren aus der Seeschifffahrt entlassen überlegt sich der damals arbeitslose Hans, wie er zu Geld kommen könnte. Er besorgte sich, wie seine Mutter damals bei der altbekannten Lachs- und Aalraucherei Klevenhusen seinen ersten Korb Aale und zog damit zum „Kaiserhaus“, einem Geschäftshaus in der Bremer Innenstadt. Dort zog er von Chefzimmer zu Chefzimmer  und  brachte  an  einem Vormittag mehrere Pfund Aale an den Mann. „De Tied mit den Korf weer de schönste!“, sagte er mir damals. Sein Verkaufskiosk im Brilltunnel war einer Schiffskajüte   nachempfunden. Schon morgens standen die Menschen wie "ne Traube davor", erinnerte er sich. Doch mit der Zeit fiel das Stehen schwer und so verpachtete er das Geschäft einem Bremer Fischhändler.

 

Und dann gab es eine weitere Episode, die nicht unerwähnt bleiben darf: ihr 90. Geburtstag. Johanne Wagner wurde am 31. Oktober 1902 in Bremen geboren. Folglich hat sie das Deutsche Kaiserreich, die beiden Weltkriege, die Inflation, das Hitlerreich und letztlich auch die Nachkriegszeit bewusst miterlebt. Dem Geburtsdatum nach wurde sie im Jahre 1992 90 Jahre alt und nun lebte sie gut versorgt im Seniorenheim des Arbeitersamariterbundes am Osterdeich. Schon Wochen zuvor hatte sie mich zu ihrer besonderen Geburtstagsfeier eingeladen und ich hatte mir diesen Tag auch freigehalten. Doch zwei Tage vorher meldete sich am Telefon eine Männerstimme mit den Worten: „Hallo Herr Matzner, ich wollte sie nochmal daran erinnern, dass meine Freundin Hanni übermorgen 90 Jahre alt wird und Sie sind doch eingeladen und Sie kommen doch auch?“ Zuerst war ich irritiert, die 90-jährige Hanni Wagner hatte also einen Freund. Ich bedankte mich freundlich für seinen Anruf, fragte dann aber auch nach seinem Namen. Sofort kam die Gegenfrage, ob ich auch ein Bremer sei? Nein, nein, sagte ich, aber seit 1950 lebe ich hier und über die bremische Stadtgeschichte wüsste ich gut Bescheid. Darauf sagte mein Gesprächspartner: „Dann müssten Sie mich kennen, denn ich bin der Aalonkel, ich heiße Hans Hurrelmann.“ Natürlich, wer kannte zu der Zeit wohl nicht den lustigen Aalverkäufer, der von der Fischhandlung Klevenhusen seine Aale kaufte und in die Bremer Büros ging und seine Ware anbot. Die Fische lagen in einem Korb und waren mit einem sauberen Leinentuch abgedeckt. Wenn Hans Hurrelmann in die Verwaltungsräume eintrat, dann begrüßte er die Angestellten mit den Worten „He levet noch“ (damit meinte er sich selbst) und im gleichen Atemzug sagte er dann mit lauter Stimme „Aale wüllt je wull nich hebben“. Und Hans Hurrelmann hat gut verkauft, denn man kannte ihn und seine gute Ware. Als der Brilltunnel mit mehreren Geschäften für Fußgänger eröffnet wurde, hatte auch der Aalonkel sich mit einem Fischgeschäft dort eingerichtet. Doch jeweils an seinem Geburtstag schenkte er vor seinem Laden Schnaps und Wein aus und den Gewinn stiftete er der „Gesellschaft zur Rettung Schiffsbrüchiger“. Nachdem sich Hans Hurrelmann zur Ruhe gesetzt hatte, übernahm ein Nachfolger das Fischgeschäft im Brilltunnel. Mit dem gab es allerdings geschäftliche Schwierigkeiten, die gerichtlich geklärt werden mussten. Der Brilltunnel gehört nun der Vergangenheit an, denn vor Jahren ist der wieder zugeschüttet worden. Das Ehepaar Wagner war mit Hans Hurrelmann eng befreundet. Seit langen Jahren verbrachte man gemeinsam die Freizeit und der ewige Junggeselle zog ebenfalls in das Seniorenheim des ASB am Osterdeich ein. Damit hatte ich nun zwei ältere Menschen, die mir viel aus ihrem Leben erzählen konnten. Hans Hurrelmann sprach ausschließlich bremisches Plattdeutsch und liebend gern erzählte er von der Seefahrt. Ob er jemals zur See gefahren ist, ich wage das zu bezweifeln. Sowohl er als auch Robert Wagner sind beide vor Hanni Wagner verstorben. Johanne Wagner und Maler Krüger feiern Geburtstag Foto: R. Matzner Doch noch mal zurück zu der 90. Geburtstagsfeier. Nun ist ja in einem Seniorenwohnheim ein derartiger Geburtstag keine Seltenheit und doch war es für die Jubilarin und auch für das Haus eine besondere Begebenheit, diesen Tag feierlich zu gestalten. Wie eh und je hat Hanni Wagner stets auf ein gepflegtes Aussehen Wert gelegt. Die Heimleitung hatte Kuchen, Torten und Getränke jeglicher Art bei einer dem Anlass passenden Tischdekoration bereitgestellt. Außer ihren Mitbewohnern hatten sich prominente Gäste eingefunden. Allen voran der Bürgerschaftspräsident Dr. Dieter Klink, Vorstandsvertreter des ASB, der Maler Peter K. F. Krüger, zwei Großnichten der Jubilarin und natürlich Hans Hurrelmann, der ja sowieso zur Hausgemeinschaft gehörte.

LESUMER BOTE / Nr. 92 Seite 11 1. Dez 1992